Mit vollem Einsatz für andere.
Grosse Initiativen starten nicht selten aus einem kleinen, ganz persönlichen Grund heraus. So war es auch im Fall von Rainer Riedl. Der studierte Wirtschaftsinformatiker mit Doktortitel stand mitten in einer erfolgreichen Karriere: Abteilungsleiter bei T-Mobile Austria, 30 Mitarbeiter, die an ihn berichteten, Sekretärin, Dienstwagen, gutes Gehalt, verheiratet, zwei Kinder – das Leben meinte es gut mit Rainer Riedl.
Bis dann Mitte der 1990er Jahre das Schicksal die heile Welt brutal traf. Genau genommen war es ganz klar nicht das Schicksal, sondern die Statistik. Es gibt sehr seltene Fälle von Erkrankungen, die vielleicht einen von 15.000 Menschen treffen. Riedls Tochter Lena war eine davon. Das Mädchen kam mit Epidermolysis bullosa (EB) zur Welt, einer extrem seltenen Hauterkrankung. In Österreich sind gerade mal 500 Menschen davon betroffen, und das heftig. Denn wer an EB erkrankt, leidet ein Leben lang daran.
Ursache ist ein genetischer Defekt, eine durchgreifende Therapie gibt es nicht. Die Haut von EB-Patienten ist empfindlich, die Menschen sind im wahrsten Sinne des Wortes dünnhäutig. Lena gehört zu diesen sogenannten Schmetterlingskindern, weil ihre Haut so empfindlich ist wie die Flügel eines Schmetterlings. Risse, Blasen und Wunden gehören zum Alltag der Patienten, genau wie die tägliche Wundversorgung. Die Diagnose EB bei Lena wirkte auf Rainer Riedl wie ein Trigger, der auch sein Leben in eine neue Bahn lenkte. Zunächst kümmerten sich die Riedls als fürsorgliche Eltern um ihre Tochter.
Der Vater arbeitete zwar weiter bei T-Mobile, an ein normales Privatleben war allerdings nicht mehr zu denken. Mehrfach im Jahr musste er einen bis unters Dach mit Medikamenten, Mullbinden und anderem Verbandsmaterial voll beladenen Kombi nach Hause fahren – die Wunden auf der Haut seiner Tochter mussten praktisch jeden Tag zum Teil mehrfach verbunden werden. Und medizinische Expertise schien es nicht zu geben. Die Riedls suchten im Wiener Allgemeinen Krankenhaus Rat, hofften dort Mediziner zu finden, die sich mit dem Krankheitsbild EB gut auskennen – vergeblich. Dann wandten sie sich ans Gesundheitsministerium. Dadurch kamen sie in Kontakt mit einer deutschen Selbsthilfegruppe. „Über diese“, so Riedl, „erfuhren wir von einem Spezialisten an den Salzburger Landeskliniken.“
Aus Treffen mit dem Experten und dessen Team entstand bald die Idee, eine Selbsthilfeorganisation zu gründen, um EB-Patienten eine Stimme und vor allem Hilfe zu geben und „durch gezielte erstklassige Forschung die Chance auf Heilung zu erhöhen“. Ein ambitioniertes Vorhaben – entsprechend engagiert ging er das Projekt an. Riedl gründete Debra Austria, einen gemeinnützigen Verein, der zur weltweit operierenden Dachorganisation Debra International gehört und sich längst zur Speerspitze im Kampf gegen die tückische Krankheit EB entwickelt hat – und zwar in Salzburg, wo er Mediziner gefunden hatte, die sich mit EB auskannten. Debra brachte auch noch Pro Rare Austria hervor, als Dachverband für Patientenorganisationen und Selbsthilfegruppen im Bereich der seltenen Erkrankungen.
Heute sind Pro Rare und Debra aus dem Leben vieler Patienten und Angehöriger in Österreich nicht mehr wegzudenken. Hier finden sie Unterstützung, die von praktischer Hilfe aus einem handverlesenen Expertennetzwerk bis hin zu Lobbying im öffentlichen Gesundheitswesen reicht, damit Patienten mit seltenen Krankheiten wie EB nicht weiter vernachlässigt werden. Bis dahin war es offensichtlich ein langer und nicht selten mühsamer Weg. Rainer Riedl ging die Initiative so an, wie er auch in seinem Job bei T-Mobile arbeitete: gründlich und professionell. Ideen hatte er von Anfang an genug – allen voran: eine auf EB spezialisierte Klinik in Salzburg aufzubauen, in der die Patienten endlich eine hochprofessionelle Behandlung finden konnten.
Doch alleine dafür war jedoch ein siebenstelliger Betrag erforderlich. Riedl begann ganz klein, baute ein Netzwerk auf, startete mit Fundraising und organisierte alles Erforderliche für ein funktionierendes Spendenwesen, damit die Organisation handlungsfähig werden konnte. „Ich habe von Anfang an gross gedacht“, dazu gehörte auch, das Phänomen seltener Erkrankungen öffentlich überhaupt erstmal bekannt zu machen, „einen Brand aufzubauen“, wie Riedl formuliert. Einige Werbeprofis waren von dem Vorhaben so begeistert, dass sie pro bono eine Kampagne entwickelten. Die war so gut gelungen, dass die DEBRA Austria-Werbung beim „Cannes Lions International Festival of Creativity“, einer Art Oscar-Wettbewerb für die weltweite Reklamezunft, mit einem goldenen und einem silbernen Löwen prämiert wurde.